Aus dem Alltag gegriffen

Zettel für Zettel

Das mit dem Gedächtnis ist ja so eine Sache. Immer, wenn man es braucht, funktioniert es nicht so, wie es soll. Und wenn man es gar nicht aktivieren will, dann spielt es uns plötzlich einen Streich und lässt Erinnerungen zu, die wir eigentlich schon längst aus unserem Gedächtnis gestrichen hatten. Somit funktioniert es ebenso,wie unser Computer: Wir glauben, etwas in den Papierkorb geschoben zu haben, doch dort liegt und liegt es auf ewig und kann jederzeit zurückgeholt werden. Was einmal abgespeichert ist, das lässt sich eben nicht mehr löschen. Gegen den „Gedächtnisschwund“ gibt es allerdings eine ebenso praktische wie einfach Erfindung: den Zettel. Er kommt in ganz unterschiedlichen Größen vor, umfasst aber meist  90 mal 90 Millimeter und heißt in dieser Größe: Merkzettel, auch Memo genannt. Er kann in ganz unterschiedlichen Farben daherkommen: blau oder rot oder gelb oder in gewohntem Papierweiß.

Auf diesen Zettel schreibt man dann, was das Gedächtnis sich nicht merken will oder kann – aufgrund Überlastung oder – um in der Computersprache zu bleiben – Erreichung des Datenvolumens. Da stehen dann so einfache Dinge drauf wie Butter, Zucker, Milch und Mehl, was den Merkzettel zum Einkaufszettel macht. Doch auch wichtigere Notizen können aufgeschrieben werden, wie „90. Geburtstag Onkel Heinz“. Das macht so einen Zettel dann schon zu einem Wertpapier, denn Onkel Heinz ist ein Erbonkel und dessen Geburtstag zu vergessen würde zwangsläufig die Enterbung bedeuten. Zum Friedenszettel wird das Papier bei der Notiz „Meiner Frau mal wieder Blumen mitbringen“, zum Terminplaner wird der Zettel mit dem Hinweis „Redaktionsschluss IG am 27.“

Man könnte also durchaus befreit und etwas glücklich in seine Gedächtniszukunft blicken, in der ja dank des Zettels nichts mehr vergessen würde, was sich das Gedächtnis nicht behalten will. Wir hätten also unser Oberstübchen quasi überlistet mit diesem quadratischen Memo, wenn da nicht ein anderes Problem wäre, mit dem unser Gedächtnis diese Überlistung beantwortet: Die Frage, wo denn der Merkzettel ist, wenn man ihn braucht. Aufgeschrieben ist ja schnell etwas und hingelegt ist er auch schnell, der schriftliche Mahner - nur wo? War es in der Besteckschublade oder in der Geldbörse? Könnte der Zettel in der Manteltasche stecken oder ist er eher in der linken Hosentasche zusammen mit dem Handy untergetaucht. Ach ja, das Handy habe ich ja mehrmals heute schon gebraucht und immer und immer wieder aus der Hosentasche gezogen. Au weija, da ist sicher auch der Zettel herausgerutscht und liegt nun irgendwo zwischen Hauptstraße Kernstadt und Allgäuer Straße Gartenstadt. Oder habe ich ihn am Einkaufswagen im Supermarkt vergessen, liegt er gar zwischen Metzger- und Obstabteilung, wurde aufgehoben von einem Kunden, der eine geheime Schatzkarte darin erhofft hatte und dann wieder achtlos weggeworfen, weil er lesen musste: „Kartoffeln – vorwiegend festkochend“?

Kein Problem ohne Lösung. Mit einer ebenso praktischen wie einfachen Erfindung können wir den Liegeort unseres Merkzettels immer wieder ausfindig machen: mit einem Zettel. Auf diesen schreiben wir nämlich auf, wo es liegt, unser Memo. Nun müssen wir nur noch sicherstellen, dass wir diesen Merkzettel für den Merkzettel auch tatsächlich finden, wenn wir ihn brauchen…

Manfred Gittel